Spirituelle Frameworks
Heute gehts um einen terminus technicus den ich immer wieder gerne verwende und der doch immer wieder für Verwunderung sorgt. Dabei geht es mir nicht in erster Linie um einen griffigen, neuen Weg die geistliche Wirklichkeit zu beschreiben, sondern vielmehr um eine objektive Dartstellung wahrnehmbarer Realität. Und damit behaupte ich: Wir sind umgeben von spirituellen Frameworks.
Ein Begriff aus der Softwareentwicklung
Das Wort Framework stammt ursprünglich aus der Softwareentwicklung und bezeichnet dort eine Art Rahmengerüst, daß den Entwickler beim Design neuer Software unterstützen soll. Der Entwickler kann dabei auf vordefinierte Mechanismen und Kontrollstrukturen zurückgreifen, die einen Teil des Quellcodes wiederverwendbar machen sollen. Zudem steuern Frameworks den Zugriff auf Klassen und Kontrollinstanzen und geben so bis zu einem gewissen Grad den in der Softwareentwicklung zu beschreitenden Weg – ein Stück weit – vor.
Ähnliches gilt meiner Ansicht nach auch für die Wirkungsweise von Glaubensystemen und ihren Einfluss auf das Leben von Menschen. Ein ausformuliertes Glaubenssystem gibt dem Einzelnen meist eine Art Toolkit in die Hand, das dessen Handeln und Wirken in seinem Alltag bestimmt. Seine Klassen sind Glaubensätze und seine Instanzen Überzeugungen. Dabei durchdringt das Glaubenssystem von seinem Anspruch her das ganze Leben, und bleibt nicht auf einzelne Aktivitäten – etwa im Rahmen einer gottesdienstlichen Zeremonie – beschränkt.
So finden sich in tradierten Glaubenssystemen ja ebenso Lehren und normative Glaubenssätze die das ethisch gebotene Handeln im Alltag ebenso in den Blick nehmen wie den Umgang des Individuum mit sehr persönlichen und intimen Angelegenheiten wie etwa der körperlichen Begierde und Lust. Glaubenssysteme und religiöse Lehren dringen also selbst bis in die innersten und geheimsten Räume unseres Bewusstseins vor. Mit ein Grund, warum wir unseren flapsig gewordenen gesellschaftlichen Umgang mit ihnen revidieren sollten. Die Legitimität eines Glaubenssystems sollte mehr daran gemessen werden welche Auswirkungen es im Leben seiner Anhänger hervorbringt als daran wieviele Mitglieder seine Insitutionen vorweisen können.
Ein geistiger Weg
Ebenso wie das virtuelle Framework in dem der Software Designer seine Programme entwickelt, haben ja auch spirituelle Frameworks ihre Auswirkung auf die Entwicklung geistlicher Software. Und hier stoßen wir auf einen der großen Unterschiede zwischen dem, was wir als Mystik bezeichnen und dem, was wir als Religion verstehen. Beide geistlichen Phänomene basieren auf überlieferten Glaubenssystemen, der Mystiker hat im Gegensatz zu einem Hardcore- Religiösen aber meist einen eher praktischen Ansatz.
So gehört es zum geistlichen Weg des Mystikers Gesetzmäßigkeiten hinter religiösen und geistlichen Phänomenen auf einer neutralen Ebene anzusehen und ins eigene Glaubensleben zu integrieren – auch wenn diese scheinbar zuerst in anderen spirituellen Entwicklungsumgebungen (d.h. Religionen) entwickelt wurden. Für den Mystiker geht es dabei – genau wie dem Softwareentwickler – um die praktische Funktionalität und Nutzbarkeit seiner Programme (bzw Überzeugungen und Techniken) als um die rein lehrmäßige Umsetzung eher theoretischer Prinzipien.
Gerade deshalb war die Mystik im Laufe ihrer Geschichte auch von größeren, religiösen Institutionen nicht immer gern gesehen – und wurde teilweise auch radikal abgelehnt. Für den Mystiker erweist sich die Wahrheit in erster Linie darin, daß sie im Leben funktioniert. Und insofern fragt sich die Mystik heute auch ob wir in unserem Denken unsere Vorstellung von „der Wahrheit“ nicht eher durch „die Wirklichkeit“ ersetzen sollten? Und da ist die Mystik schon seit sehr langer Zeit in der Postmoderne angekommen, ohne ihre Wurzel in der Geschichte und ihre Quelle im Göttlichen dabei zu vergessen.