Hohe Feste

deine mystische Webcadamy

Postmoderne Kirchen?

Eine christlich-spirituelle Standortbestimmung im Kontext postmodernen Kirchenverständnisses

Wir wir vielerorts feststellen können: die Zeiten ändern sich – in der sichtbaren, wie der unsichtbaren Welt. Manche Veränderungen sind dramatisch, andere gleichen eher einer „Zurück zu den Anfängen“ Mentalität. Doch eines ist allen gemeinsam: Sie sind Ausdruck der pulsierenden Kraft des Lebens. Geistliche Gemeinschaften sind generell ein guter Gradmesser für kommende kulturelle Entwicklungen. Gerade weil sie am Puls der Zeit stehen, fällt ihnen oft als ersten auf, wofür Normalsterbliche mitunter länger brauchen.  Nicht umsonst stammt das auch aus Web 2.0 Kreisen bekannte Schlagwort „Man muß die Menschen da abholen wo sie sind“ ursprünglich aus der hochkirchlichen Theologie.  Amerikanische Kirchengemeinden praktizieren schon seit Jahrzehnten, wofür web 2.0 eigentlich bekannt ist: Mitmachen als zentrales Prinzip des Gemeindealltags.  Von der Kirche 2.0 zum Web 2.0 – könnte man sagen. Und umso spannender ist die Beobachtung, daß es wieder einmal amerikanische Baptisten sind, die sich momentan für die Postmoderne und ihre geistlich-kulturellen Eigenheiten öffnen.

Dazu eine kleine Vorgeschichte:
Ausgehend von traditionellen Gemeindeverständnissen entwickelte der amerikanische Kirchengründer Bill Hybels in den 80ger Jahren das „seeker sensitive service“ (zu deutsch: Sucherorientierter Gottesdienst). Er verstand Kirche nicht mehr als geistliche Pflichtveranstaltung zu der gute Christenmenschen eben erscheinen mussten, sondern als spirituelles Medium, das Menschen verschiedenster Überzeugung offenstand und einen Raum für spirituell Suchende bieten wollte. Eine Auffassung, die sich auch im Stil seiner Gemeinde wiederspiegelte: Statt im Talar auf der Kanzel in einem Gemeindehaus, predigte Hybels im Hawaihemd auf der Bühne einer adaptierten Turnhalle – und an allen möglichen anderen unkonventionellen Orten auch, begleitete vom fetzigen Sound einer zeitgemäßen Worshipband.  Zudem räumte der Prediger mit der aus großen Kirchen bekannten religiösen Kunstsprache auf  - und predigte im normalen Alltagsdeutsch (bzw.: Alltagsenglisch – immerhin ist der Mann Amerikaner), gewürzt mit amüsanten Geschichten und Beispielen aus unserer Zeit. Nachdem die von Hybels gegründete „Willow Creek Community Church“ bald schon ein rasantes Wachstum erlebt hatte, und Glaube und Spiritualität wieder in mitreissender, Menschen von Heute ansprechender Form lebte, übernahmen zahlreiche andere Gemeinden Hybels Strategien – und Wege den Gottesdienst zu feiern. Hybels Seeker Sensitive Service war (und ist) also eine moderne Form den Glauben im Kontext einer modernen Kultur zu leben.

Alles fetzig, aber… (?)
Eigentlich gibt es an dieser Stelle kein aber.  Hybels’ Seeker Sensitiv Service ist für moderne Menschen in der modernen Kultur der absolute Überhammer. Doch unlängst setzte eine Wende im kulturellen und spirituellen Hunger einer jungen Generation ein. Und einer der ersten die diese Wende entdeckten und würdigten war wiederrum: Bill Hybels. In „Aufbruch zur Stille“ schildert der beschäftigte Pastor einer Megachurch, wie er immer wieder bewusst Zeiten für Gebet und Kontemplation schafft um sich im „Raum der Stille“ ganz für Gott zu öffnen – und den geschäftigen Alltag draußen zu lassen.

Das Fazit das man unter besagtes Buch ziehen könnte: „Es wird wieder modern, still zu werden.“ Eine Rückkehr zu spirituellen Vorstellungen und jahrhundertealten geistlichen Traditionen – wenn man so will. Bald schon entdeckte ein weiterer amerikanischer Prediger – Dan Kimball – daß der neue, alte Hunger nach gelebter Spiritualität auch neu anch alten Formen des Glauben zu leben und auszudrücken verlangte. Entfernten Hybels und andere christliche Gemeinden sukzessive alle religiösen Formen und Symbole aus dem Gemeinderaum, kehrten Kimball und Co. gerade absichtlich und neugierig wieder zu ihnen zurück. Und erleben, wie gerade von Jugendlichen und jung gebliebenen dieses mystische Erleben von Spiritualität und Glaube neu angenommen wird.

Das moderne Paradigma: Neu statt alt.
Das postmoderne Paradigma: Neu und Alt.


Mußte im Verständnis modernen Gemeinde(auf)baus alles möglichst fetzig und spektakulär sein, so versucht das postmoderne Churchplanting etwas konträres: Altes und Neues als gleichberechtigte Phänomene – nicht nur gleichberechtigt und gleichwertig nebeneinander stehen zu lassen – sondern in Harmonie miteinander zu verbinden. So haben Kimball und seine Gemeinde versucht, absichtlich Räume zu Stille, Andacht und Kontemplation, gemeinsam mit einer Vielzahl religiöser Symbole und meditativer Klänge als geistliches Programm wieder in den fetzigen Raum moderner Gemeindekultur zu integrieren. Ansage eines Skaters im Teenageralter dazu: „Das hat mir gefallen – es war so…. spirituell“.

Das postmodern sein einer ganzen Kirche geht dabei natürlich weit über den Stil des Gottesdienstes hinaus.  Es ist eher ein neues Lebensgefühl in dem die Gemeinde den Menschen in ihrem Umfeld begegnet, die sich aber in Stil und Kultur der Liturgie (wenn man so will) wiederspiegelt. Die Postmoderne ist für Kimball und andere dabei etwas wie ein großes, spannendes und heiliges Experiment in dem die eigene geistliche Weltanschauung anderen – teilweise völlig divergierenden – Glaubenssystemen auf Augenhöhe begegnen, und auch von ihnen lernen, und so die Zukunft effektiv und positiv mitgestalten kann. Fazit: Postmodernes Kirche sein – Eine geistliche Überzeugung von einer umfassenden Tiefe, Lebendigkeit und Weite, wie sie postmoderner – und damit zeitgemäßer – nicht sein könnte. Es scheint sich also  zu bewahrheiten, was der katholische Theologe Karl Rahner plakativ formulierte: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder… er wird nicht mehr sein.“