Mystica negationis
Die Mystica Negationis ist Mystik, die sich unter den Vorzeichen des via negationis entfaltet – und gerade dadurch eine positive Grundausrichtung bekommt. Der via negationis hat nichts mit einer depressiven Wahrnehmung der geistigen Wirklichkeit zu tun, sondern mit der positiven Transzendierung unsers Lebens durch die bewusst angestrebte Enthaltsamkeit von verschiedenen Dingen oder Aktivitäten.
Wir kennen diese Form mystischer Sprache und mystischen Erlebens sowohl durch die Lehren und das Leben der grossen Asketen, wie durch die Fokussierung des Bewusstseins im Hier und Jetzt wie es in Zen, Wu-Wei, und via cordis (im christlichen Kontext) praktiziert wird. Dabei ist die prinzipielle Ausrichtung des Mystikers in beiden Ansätzen dieselbe: Er sucht seine geistigen Sinne zu schärfen, indem er einen Weg der Nicht-Anhaftung, des Nicht-Konsumierens, der Nicht-Befriedigung zu erreichen versucht um so sein geistiges Auge auf der spirituellen Ebene weiter zu öffnen. Im christlichen Umfeld wurde dabei oft der Wert von Enthaltsamkeit und Askese in den Vordergrund der mystischen Lehre gestellt, im östlichen Umfeld dagegen eher das innere Erleben der Nicht-Anhaftung des Geistes in verschiedenen Variationen ins Zentrum der Betrachtung gerückt.
Eine positive Perspektive
Positiv ist die mystica negationis deshalb, weil sie die Sinne des Mystikers nicht so sehr auf den Gegenstand des Nicht-Paradigmas lenkt, was Begierde und Anhaftung an das Paradigma bewirken würde, sondern ihm die geistige Realität der Dinge vor Augen führt. Durch das Ausblenden der materiellen Erscheinungsweise der Wirklichkeit verstehen wir die Gesamtwirklichkeit besserer, und klären so unseren Geist.
Der menschliche Geist ist beinahe immer in irgendeine Aktivität verstrickt. Auch wenn wir träumen ist unser Geist dennoch wach und aktiv und produziert jene geistigen Welten die wir in unseren Träumen erleben. Er kommuniziert, er interagiert und er hat im Schlafzustand oft einen tieferen Zugang zur spirituellen Wirklichkeit als im Zustand des Wachseins. Warum ist das so? Wenn wir wach sind, ist unser Geist von den Erscheinungsweisen der materiellen Welt eingefangen. Er interagiert mit der spirituellen Wirklichkeit meist auf einer unsichtbaren, geistigen Ebene, während unser Bewusstsein in alltäglichen Dingen, Sorgen, Nöten, Aktivitäten und den Aufgaben unseres Lebens gefangen ist. Wenn wir schlafen, entfällt die Fokussierung auf äusserlichkeiten, und wir finden in unseren Träumen Antworten auf Fragen die wir in der Situation unseres Lebens begehren.
Das Nicht-Paradigma
Das Nicht-Paradigma versucht nun die äusserste Klarheit des Geistes im Wachzustand zu erlangen, indem sie die permanente Aktivität des menschlichen Geistes umgeht, die uns als Wirklichkeit erscheinenden Manifestationen der materiellen Welt entmachtet und so einen ungebundenen, freien Geist zum Ziel hat. Nicht die Bindung an die Enthaltsamkeit und die Nicht-Anhaftung ist Wesen und Ziel des Nicht-Paradigmas, sondern die Freiheit von der Bindung des Geistes an die Weltwirklichkeit, in der die Einheit aller Dinge erfahren werden kann ist das eigentliche Wesen der mystica negationis.